Zwischen Tür und Schwelle - über Beziehungen, Grenzen und die Kraft des Loslassens
- Aenea

- 28. Okt.
- 5 Min. Lesezeit

Über Nähe, Hoffnung, Ohnmacht und die Kraft, sich selbst wieder zuzuwenden
Türen zwischen uns
Es gibt Begegnungen, die sich anfühlen wie eine geöffnete Tür. Etwas zieht uns hinein, Wärme, Resonanz, vielleicht ein stilles Wissen, dass hier etwas Bedeutendes liegt. Und dann, manchmal ganz leise, manchmal schmerzhaft deutlich, merkt man: Die Tür bleibt, wenn man genauer hinschaut, dennoch irgendwie zu. Oder fast zu. Oder immer nur gerade so weit offen, dass man nicht ganz gehen kann.
Ich erinnere mich an eine Situation aus meiner Ausbildungszeit, als ich ein Paar begleitete. Einer der beiden wollte Verbindung, die andere Person war längst innerlich gegangen. Und so sehr sich die eine Person bemühte, Verständnis suchte, Geduld zeigte, kämpfte; die andere Person hatte sich bereits verschlossen. Damals fiel ein Satz, der sich in mir eingebrannt hat: Wenn die Tür zu ist, ist sie zu.
Dieser Satz hat nichts mit Resignation zu tun. Er ist eine Rückkehr zur Realität. Er sagt: Ich kann mich bemühen, erklären, bitten, hoffen und doch, wenn der andere nicht da ist, gibt es keine Verbindung. Nicht, weil die eine Person versagt hat oder nicht genug gekämpft hat, sondern, weil Begegnung zwei Seiten braucht. Beziehung trägt sich nur, wenn beide präsent sind.
Wenn sie nur von einer Person gehalten wird, verliert sie ihr Gleichgewicht.
Aber was, wenn die Tür nicht ganz zu ist? Wenn sie einen Spalt offen steht, gerade weit genug, dass man hoffen kann? Oder wenn sie am Anfang weit offen stand, einladend und man innerlich schon einen Schritt hineingesetzt hat, nur um dann zu spüren, wie sie sich langsam, fast unmerklich wieder schließt? Oder wie eine Drehtür, durch die man hineingeht, die sich weiterdreht und man steht plötzlich wieder draußen, verwirrt, irritiert, ehe sie sich einfach weiterdreht. Ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle, das viele Beziehungen prägt.
Es gibt viele solcher Türen. Die angelehnte Tür, die nie ganz auf ist, aber auch nie richtig zu. Die schwere Tür, die sich kaum bewegen lässt. Die Tür mit zwei Flügeln, von denen einer offen steht, während der andere blockiert bleibt. Die gläserne Tür, durch die man alles sieht, aber nicht wirklich hindurchkommt. Die prunkvollen Türen, die beeindrucken, aber nicht immer Wärme versprechen.
Oder nur ein Vorhang, beweglich, aber nie klar, immer zwischen Nähe und Entzug.
Und dann die schlichten Türen, nicht bittend aber dennoch offen stehend. Die einladenden Türen, bei denen man nicht zweifelt, ob man gemeint ist.
Jede hat ihre eigene Sprache, so wie jede Beziehung ihre eigene Dynamik hat. Und jede löst etwas anderes in uns aus.
Was viele dieser Türen verbindet, ist das Dazwischen. Sie sind nicht ganz offen, aber auch nicht ganz verschlossen. Und genau das macht es oft schwerer diese zwischenmenschlichen Beziehungsdynamiken zu verlassen, als wenn es eine eindeutige Grenze gibt.
Grenzen und Abhängigkeit
Manchmal brauchen solche Türen einfach Zeit, um sich zu öffnen. Manche öffnen sich aber auch nie wirklich. Dann schleichen sich vielleicht Gedanken ein wie: Vielleicht, wenn ich mich nur noch ein bisschen mehr anstrenge, noch etwas warte, noch ein bisschen mehr von mir gebe. Und so warten wir. Wir investieren. Wir geben. Wir übersehen. Und mit der Zeit verlieren wir etwas von uns selbst. Was sich anfangs wie Hoffnung anfühlt, wird zäh. Was bleibt, ist ein Nebel, der sich nicht mehr lichtet. Es frisst Zeit, Energie, Selbstachtung, nicht, weil der andere böse ist, sondern weil er nicht wirklich da ist. Solche Momente fordern unsere Grenzen heraus, zwischen Nähe und Selbstschutz.
Diese Art des Wartens kann sehr zermürbend sein. Und trotzdem möchte ich sagen: Schwer zugängliche Türen sind kein Fehler. Nicht jede Zurückhaltung ist Abwehr. Manche Menschen haben gute Gründe, weshalb ihre Türen nicht weit offen stehen. Vielleicht schützt sie das. Vielleicht wissen sie selbst nicht, was sie wollen. Vielleicht ist es einfach nicht der richtige Moment oder nicht der richtige Mensch. Auch das darf sein. Denn jeder Mensch ist für seine eigene Tür und den Umgang damit verantwortlich.
In solchen Situationen kann ich versuchen, zu verstehen, mich einfühlen, aber ich kann die Tür des anderen nicht verändern. Ich kann nur für mich entscheiden, wie ich damit umgehe. Ob mir das reicht. Ob mich die Art der Beziehung nährt. Ob ich mich darin entfalten kann oder ob es mir die Kraft nimmt. Und vielleicht auch: ob ich etwas ganz anderes brauche.
Selbstermächtigung
In Beziehungen, ob partnerschaftlich, familiär oder beruflich geraten wir leicht in die Versuchung, geschlossene oder halbgeschlossene Türen zu überreden. Es wird dann Liebe, Loyalität oder Verständnis genannt. Verständnis ist ein kostbares Gut. Es trägt Beziehungen. Es schafft Räume, in denen sich etwas entfalten kann. Aber auch Verständnis hat seine Grenzen, spätestens dort, wo ich beginne, mich selbst zu verlassen. Das zu erkennen ist oft schwer, weil die Grenzen da meist verschwimmen.
Wir glauben, es brauche nur noch etwas mehr Geduld. Und manchmal entsteht genau daraus eine Form von Abhängigkeit, weil ich beginne, meine innere Ruhe davon abhängig zu machen, wann die Tür des anderen sich so verändert, dass es sich für mich stimmig anfühlt. Manchmal versucht jemand, dem Bild des anderen zu entsprechen, aus Angst, sonst verloren zu gehen. Und so halten beide fest: der eine an der Hoffnung, der andere am Versprechen einer Tür, die sich vielleicht nie öffnet. Am Ende werden beide enttäuscht, denn sie konnten nicht das geben was jeder von ihnen gebraucht hätten.
Es gibt keinen festen Zeitpunkt, wann genug gewartet ist, keine Regel, ab wann es klüger wäre zu gehen. Das kann niemand im Außen entscheiden. Nur wir selbst.
Und meist braucht es dafür ein Innehalten, ein genaues Spüren: Will ich das noch? Kann ich das tragen oder trägt es mich längst nicht mehr? Was bleibt von mir, wenn ich hier weiter warte? Warum suche ich vielleicht immer wieder eine bestimmte Art von Tür, auch wenn es leer bleibt?
Das Wertvollste, was wir tun können, ehrlich hinzuschauen und uns zu spüren. Denn solange wir auf die Tür starren, sehen wir uns selbst nicht mehr.
Wir merken nicht, dass nur wir die Entscheidung treffen können. Nicht aus Kälte, sondern aus Würde.
Zu erkennen, dass eine Tür zu ist, oder nie ganz auf, heißt nicht, sie für immer abzuschreiben. Es heißt, die Verantwortung dorthin zurückzugeben, wo sie hingehört. Es heißt: Ich respektiere deine Grenze und auch meine eigene.
Es kann sehr heilsam sein, wenn Menschen begreifen, dass ihre Liebe oder ihr Einsatz nicht an einem Zuwenig scheitern, sondern an einer Tür, die nicht die ihre ist.
Dann wird aus Ohnmacht Bewegung. Aus Warten wird Kraft, Loslassen und Würde.
Wenn du magst, kannst du dich selbst einmal fragen: Welche Türen kennst du gut? Welche begegnen dir immer wieder in Beziehungen, in der Arbeit, in dir selbst?
Und auch: Mit welcher Art von Tür fühlst du dich eigentlich am wohlsten? Wo fühlst du dich willkommen, gesehen, frei?
